„Die Geschichte in der Gegenwart anzusprechen bedeutet, mit einer unbekannten Zukunft zu sprechen. In der relativen Undurchschaubarkeit der Gegenwart können wir nicht unmittelbar erfassen, wie sich die Ereignisse der Gegenwart auf unsere möglichen Zukunftsszenarien auswirken werden. Dieses Unwissen sollte uns allerdings nicht davon abhalten, aufzulösen und abzuschaffen, was obsolet geworden ist.“
(Gabi Ngcobo, DEAR HISTORY, We don’t need another hero, Vorwort der Publikation We don’t need another hero zur 10. Berlin Biennale)
Die 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst ist am vergangenen Sonntag erfolgreich zu Ende gegangen. Die von der Kulturstiftung des Bundes als kulturelle Spitzeneinrichtung geförderte 10. Berlin Biennale fand an fünf Ausstellungsorten in Berlin über eine Laufzeit von drei Monaten vom 9. Juni bis 9. September 2018 statt und wurde von über 100.000 Menschen besucht. Unter dem Titel We don’t need another hero präsentierte die 10. Berlin Biennale über 150 Arbeiten von 46 Künstler*innen und Kollektiven, darunter zahlreiche Neuproduktionen.
We don’t need another hero wurde kuratiert von Gabi Ngcobo mit einem kuratorischen Team, dem Nomaduma Rosa Masilela, Serubiri Moses, Thiago de Paula Souza und Yvette Mutumba angehören. Die Beteiligten setzten sich mit den anhaltenden Ängsten und Sorgen in unserer heutigen Zeit auseinander – Ängste, die durch die Missachtung komplexer Subjektivitäten vervielfacht werden. Die Künstler*innen und anderen Beitragenden der 10. Berlin Biennale denken und handeln in ihrer Auseinandersetzung über den Kunstkontext hinaus und distanzierten sich in der Biennale von einer kohärenten Interpretation von Geschichte(n) oder der Gegenwart. Mit dem Verweis des Titels auf Tina Turners gleichnamigen Song lehnte die 10. Berlin Biennale die Verführung durch Narrative von Heldenfiguren ab. Demgegenüber erkundete sie das politische Potenzial von Strategien der Selbsterhaltung. Dabei verweigerte sie sich jedoch starren Wissenssystemen und standardisierten historischen Narrativen, die zur Entstehung toxischer subjektiver Sichtweisen beitragen.
Die 10. Berlin Biennale fand an vier permanenten Ausstellungsorten statt: Akademie der Künste am Hanseatenweg, KW Institute for Contemporary Art, Volksbühne Pavillon und ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik. In Koproduktion mit dem HAU Hebbel am Ufer wurden im HAU2 zwei Performances sowie ein mehrtägiges Ausstellungsprojekt mit diskursiven Veranstaltungen und Seminaren gezeigt. Die Ausstellungsorte wurden nicht nur aufgrund ihrer historischen Bedeutung, sondern auch aufgrund dessen, was sie heute repräsentieren, ausgewählt. Mit diesen miteinander verbundenen zeitlichen Ebenen begab sich die 10. Berlin Biennale in Konversation.
Mit fast 100 vielfach ausgebuchten Veranstaltungen fand die 10. Berlin Biennale großen Anklang beim Publikum. Das öffentliche Begleitprogramm I’m Not Who You Think I’m Not gab bereits ein Jahr vor der Eröffnung im Juli 2017 mit einer Auftaktveranstaltung in Kooperation mit der unabhängigen Bildungsinitiative Each One Teach One (EOTO) e. V. die künftige Richtung der 10. Berlin Biennale vor. Es folgten weitere Veranstaltungen vorab – nicht nur in Berlin, sondern auch in Johannesburg, ZA, und Nairobi, KE. Auch im Rahmen des öffentlichen Programms stellte die 10. Berlin Biennale in diversen Formaten generelle Zuschreibungen bezüglich des Daseins und Know-hows infrage und bot eine aktualisierte Grammatik zum Umgang mit der Gegenwart.
Ein besonderer Fokus dieser Berlin-Biennale-Ausgabe lag auf einem breit angelegten (Ver-)Mittlungsangebot, das Anlässe für Begegnungen, Austausch und Unsicherheiten schaffte. In einer Vielzahl experimenteller und humorvoller Formate gab die (Ver-)Mittlung Prozessen des Er- und Verlernens Raum und thematisierte blinde Flecken. Künstlerische und partizipative Methoden bildeten die Werkzeuge für die Interaktion zwischen Teilnehmenden, Kunstwerken, dem kuratorischen Team und ausstellenden Künstler*innen sowie den Nachbarschaften der Veranstaltungsorte. Es gab zahlreiche Kooperationen mit Sozial- und Bildungseinrichtungen in Berlin und darüber hinaus.
Zur 10. Berlin Biennale erschien ein Katalog im Design von Maziyar Pahlevan, der auch die gesamte visuelle Identität dieser Ausgabe verantwortete. Der Katalog bietet umfassendes Material zu allen vertretenen Künstler*innen und Kollektiven sowie Texte von Binyavanga Wainaina, Bongani Madondo, Jota Mombaça, Maryse Condé, Peggy Piesche und dem kuratorischen Team. Das besondere Design mit den Namen aller Beteiligten auf dem Buchschnitt macht ihn zu einem bibliophilen Objekt. Begleitend zum Katalog gab es einen Kurzführer, der komprimierte Informationen zum Besuch der 10. Berlin Biennale bot.
Zwei weitere kuratorische Projekte wurden im Rahmen der 10. Berlin Biennale initiiert: Strange Attractors, ein kuratorisches Publikationsprojekt von Nomaduma Rosa Masilela mit einem eigens gestalteten Leseraum in den KW vereinte Beiträge von Künstler*innen und Archivmaterial. Die Beiträge befassten sich mit Vorstellungen von Kosmologien, zwischenmenschlichen Beziehungen und Größenverhältnissen. Die School of Anxiety, konzipiert von Serubiri Moses, fand in Workshopformaten mit öffentlichen Präsentationen in Johannesburg, Nairobi und Berlin statt. Sie verstand sich als unteaching environment, als ein Raum des Verlernens und der Konstruktion von anderem Wissen mit Fokus auf der Beschäftigung mit subjektiver Angst.
Auch im Rahmen der 10. Berlin Biennale fand der bereits seit 2006 etablierte Curators Workshop statt. Für diese Ausgabe wurden Antonia Majaca und Sohrab Mohebbi eingeladen, dessen Format zu überdenken und zu erweitern. Das zehntägige Treffen bestand aus täglichen Crit Sessions mit fünfzehn Mitwirkenden und eingeladenen Gästen. Die Crit Sessions beinhalteten Analysen und Diskussionen zu kuratorischen Entscheidungen, konzeptuellen Zusammenstellungen und einzelnen künstlerischen Arbeiten der 10. Berlin Biennale sowie eingehende Auseinandersetzungen mit verschiedenen diskursiven Fragestellungen.
Die kuratorische Verantwortung der 2020 stattfindenden 11. Berlin Biennale sowie die Mitglieder der internationalen Findungskommission werden im Herbst dieses Jahres bekannt gegeben.
Die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und organisiert vom KUNST-WERKE BERLIN e. V.
BMW Group ist Corporate Partner der 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst